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fact × Jahrestagung 2022

Wirecard – eine Zwischenbilanz: Konsequenzen für Governance und Forensic Accounting

Jüngst hat die Staatsanwaltschaft München I Anklage gegen den langjährigen Wirecard-Vorstandschef Dr. Markus Braun sowie zwei weitere ehemalige Wirecard-Manager erhoben. Die Bilanz der Sonderkommission „Treuhänder“ ist eindrücklich: 700 Aktenbände, 474 Seiten Anklageschrift, 450 Vernehmungen, 42 Terabyte sichergestellter Daten, davon allein 6,26 Gigabyte Buchhaltungsdaten. Sie sollen den drei Angeklagten gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Veruntreuung von Konzernvermögen, Bilanzfälschung und Aktienkursmanipulation nachweisen.

Im Rahmen von fact & profession 2022, der vierten Jahrestagung unseres Studienprofils am 8. Juni 2022, durften wir knapp 90 Teilnehmer im oeconomicum der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf begrüßen. Gemeinsam mit Martin Wambach, dem Ermittlungsbeauftragten des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, haben wir Zwischenbilanz in Causa Wirecard gezogen. Unter unseren Gästen waren zahlreiche Studierende und Lehrende verschiedener Hochschulen aus ganz Deutschland sowie Vertreter der Big4 und Next10, von Industrie, Banken und Berufsverbänden.

Prof. Dr. Stefan Süß, Dekan der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, begrüßte die Teilnehmenden im Namen der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Perspektivisch gesehen fragte Süß, was passieren müsse, damit Betrug wie im Fall Wirecard keine Chance mehr habe.

Prof. Dr. Barbara E. Weißenberger, Inhaberin des Lehrstuhls für BWL, insb. Controlling und Accounting und Mitglied im Vorstand der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V., begrüßte ihrerseits die Teilnehmenden im Namen des Studienprofils fact × hhu und der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. Mit Blick auf vergangene Skandale wie Enron und Worldcom vermutete Weißenberger, dass sich solche Skandale niemals vollständig werden eindämmen lassen können, aber das trotzdem von der Öffentlichkeit erwartet werde, dass sich Wirtschaftsprüfer dem entgegenstellten.

Den fachlichen Auftakt unserer Jahrestagung bildete im Anschluss die Keynote von WP StB Martin Wambach, Geschäftsführender Partner und CDO bei Rödl & Partner. In seinem Vortrag, der als 4. Düsseldorfer Schmalenbach-Lecture unter der Schirmherrschaft der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e.V. stand, berichtete Wambach von seiner Tätigkeit als Ermittlungsbeauftragter des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Causa Wirecard. Zentrale Aufgabe des Untersuchungsausschusses sei es gewesen, aufzuklären, wie es zum Bilanzskandal gekommen sei, welche Rolle die Bundesregierung, Behörden, Wirtschaftsprüfer etc. dabei gespielt hätten und ob man den Skandal nicht eher hätte aufdecken können.

Nach wie vor, so Wambach, sei es gesetzlicher Auftrag der Abschlussprüfung, Unregelmäßigkeiten festzustellen, soweit sie sich auf den Jahresabschluss auswirken. Gleichzeitig sei die „normale“ Jahresabschlussprüfung keine Betrugs-Sonderprüfung. Im Folgenden präsentierte Wambach seine Perspektive auf die Frage, wie der Berufsstand zukünftig mit dieser Spannung und der daraus resultierenden Erwartungslücke umgehen könne. Teilnehmende, die sich von Wambach detaillierte fachliche Analysen oder gar Beurteilungen des Wirecard-Skandals und der Rolle der Wirtschaftsprüfer darin erhofft hatten, sahen sich allerdings mit einer besonderen Form der Erwartungslücke konfrontiert: Als Berufsträger beschränkten sich seine Ausführungen ausschließlich auf öffentlich verfügbare Informationen. Mehrfach stellte Wambach dabei klar: Sein Auftrag als Sondergutachter umfasste keinerlei Beurteilungen oder Bewertungen der Qualität der Abschlussprüfung bei Wirecard– diese waren allein Aufgabe des Untersuchungsausschusses. Wambach sollte den Parlamentariern lediglich möglichst verständlich darlegen, was und wie geprüft wurde. Entsprechend war die Arbeit von Wambach und Team auch keine zweite Prüfung. Umso spannender waren daher die Einblicke in den Prozess der Gutachtenerstellung, die in dieser Form bisher noch nie Teil der öffentlichen Diskussion gewesen waren. So beauftragte der parlamentarische Untersuchungsausschuss beispielsweise keine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, sondern explizit ausgewählte Berufsträger. Um den Auftrag des Ermittlungsbeauftragten jedoch tatsächlich übernehmen zu können, bedurfte es dann der formalen Vereidigung als Geheimnisträger. Zur allgemeinen Heiterkeit erklärte Wambach, dass dieser Status leider auch nach Abschluss der Ermittlung nicht so einfach loszuwerden sei.

In seinem Abschlussbericht würdigte der Untersuchungsausschuss die Arbeit von Wambach und Kollegen, die "mit ihren Ausarbeitungen ganz wesentlich dazu bei[trugen], die Arbeit der EY-Abschlussprüfer richtig einzuschätzen und die umfangreichen Prüfdokumente auszuwerten. Ihre konsequente Aufklärung hat dazu beigetragen, das Bild des Berufsstands in der Öffentlichkeit zu rehabilitieren."

Im Anschluss an die intensiven Diskussionen während der Kaffeepause traten WP StB Dr. Frank Hülsberg, Mitglied des Vorstands und Partner Advisory bei Grant Thornton Deutschland, WP StB CPA Prof. Dr. Rüdiger Loitz, Partner Assurance Technology & Innovation bei PwC Deutschland, und WP StB Marc Stauder, Partner Risk & Compliance Services bei KPMG Deutschland, zu Wambach auf das Podium. Unter der Moderation von Barbara E. Weißenberger wurden in der Expertenrunde Konsequenzen diskutiert, die insbesondere mit Inkrafttreten des Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz (FISG) für den Berufsstand einhergingen. Ob höhere Haftungssummen oder die verschärfte Trennung von Prüfung und Beratung zielführend seien, wurde erwartungsgemäß in Frage gestellt. Kritisch hinterfragt wurde im selben Zuge aber auch ganz grundsätzlich die politische Aufarbeitung: Wie konnte ein Gesetz, das als Antwort auf den Fall Wirecard initiiert wurde, erlassen werden, bevor die inhaltliche und rechtliche Aufarbeitung des zugrundeliegenden Sachverhalts abgeschlossen war?

Weiter hielten die Experten fest, dass während der vergangenen zwei Jahre der Fokus der medialen Berichterstattung in besonderer Weise auf den Abschlussprüfern lag. Daher war es für das Podium eine logische und notwendige Konsequenz, auch die Bedeutung der übrigen Aufsichtsinstitutionen kritisch zu diskutieren: Welche Rolle spielte die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) in frühen Jahren von Wirecard? Wie müssen Aufsichtsräte künftig besetzt werden? Führt das fortan einstufige Enforcement-System mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) tatsächlich zu einer Prüfung „mit mehr Biss“, wie es versprochen wird?

Die gemeinsame Diskussion der Ausführungen mit dem Plenum mündete bei der Mehrheit der Teilnehmenden schließlich in der Einsicht, dass gerade mit zunehmender krimineller Energie ein Aufdecken von Manipulationen immer schwieriger werde. Vor allem wenn das Top-Management involviert sei – Stichwort: management override – sei eine echte Prävention fast nicht möglich. Dann gehe es eher um Schadensbegrenzung durch eine möglichst frühzeitige Aufdeckung.

Wir danken allen Gästen und insbesondere unseren Referenten für ihre Teilnahme und ihre interessanten Beiträge. Über die positive Resonanz von Studierenden und Praktikern im Anschluss an unsere Veranstaltung freuen wir uns sehr, ebenso wie über die Berichterstattung in der Presse, die Sie unter folgendem Link abrufen können:
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.06.2022: „Welche Warnsignale es schon vor der Wirecard-Insolvenz gab“ von Mark Fehr.

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